Finnland 2004

WANDERN NACH DEN FINNISCHEN WASSERWEGEN

Nach der letzten „Zählung“ gibt es in Finnland mehr als 160.000 Seen und auch recht kleine Seen. Einige davon sind mit den Kammerschleusen verbunden und bilden somit ein durchgehendes Netz von Wasserwegen, die für den Last- und Personenverkehr sowie auch für die Touristik bestimmt sind. Die erste Behauptung ist ohne Zweifel den meisten Schülern bekannt, wenn sie die Geographiestunde über Skandinavien nicht verpasst haben. Die zweite Tatsache wollten wir im Juni dieses Jahres mit eigenen Augen überprüfen. Als Verkehrsmittel benutzten wir unser eigenes Auto, das mit uns mit dem Trajekt aus Rostock nach Finnland gebracht wurde, und in Finnland mieteten wir für eine Woche ein Motorboot.

 

Saimaa kanava

Der größte und für den kommerziellen Schiffsverkehr am meisten verwendete finnische Kanal ist der Kanal Saimaa im Südosten Finnlands, der die Schlüsselaufgabe als Verbindung zwischen den binnenländischen Wasserwegen des Seesystems Saimaa und dem Meer erfüllt.
Etwa 45 km des „Festlandes“ und nur 75 m Höhe über dem Meer lockten seit jeher zum Durchgraben und damit zur Verbindung des Jahrhunderte lang betriebenen Schiffsverkehrs auf zahlreichen Seen mit der Ostsee. Diese Versuche gingen aber immer schief. Dies ermöglichten erst die fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten und Erfahrungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Jahre 1856 wurde der Kanal beendet, bei dem die Parameter der Schleuse die damaligen Anforderungen erfüllten, und der für die Schiffe mit einer Tragfähigkeit von bis zu 250 T geeignet war, der aber für die wirtschaftliche Entwicklung von Mittelfinnland und Karelien von Bedeutung war.
Am weiteren traurigen Schicksal dieser Schleuse hatte die ständige Verschiebung der Grenzen zwischen Finnland und der Sowjetunion ihren Anteil, und nach dem Jahre 1940 befand sich die Hälfte der Kanallänge einschließlich der Stadt Vyborg, wo der Kanal aus dem Meer kommt, auf sowjetischem Gebiet. Der Kanal konnte nicht modernisiert werden und der ganze Betrieb wurde eingestellt. Erst im Jahre 1962 wurde eine internationale Vereinbarung über die Vermietung des Gebietes in der Umgebung des Kanals getroffen und der Kanal wurde im Jahre 1968 nach einem grundsätzlichen Umbau wieder in Betrieb gesetzt.
Die ursprünglichen 28 kleinen Schleusen wurden mit 8 modernen Kammerschleusen mit einem Hub von 5 bis 13 Metern ersetzt, deren Abmessungen von 85 x 13,5 m und einer Tiefe von 5 m es auch den kleineren Seeschiffen mit einer Tragfähigkeit von 3000 T ermöglichen, in Lappeenranta im Binnenland zu fahren. Dem entsprechen auch ihre Durchfahrtshöhe von 25 m und alle Brücken auf der ganzen Strecke. Heute werden auf diesem Wasserweg vor allem Holz, Papierwaren und Ölprodukte befördert und hier wird auch Personenverkehr betrieben.

Blaugrünes Labyrinth (Eintragung im Schifftagebuch)

Der zweite Tag auf dem Schiff und wir schlängeln uns durch das bunte Labyrinth von Felseninseln und Inseln mit den Gipfeln der frisch grünen Tannen und Birken, die über dem undurchsichtigen Spiegel des kristallklaren Wassers emporragen. Während Lida die bisher unbekannte Naturszenerie unmittelbar genießen kann, muss ich meine Aufmerksamkeit größtenteils der Bootslenkung widmen, damit das Schiff in diesem Labyrinth auf einer Sandbank nicht gestrandet oder damit es nicht zum „Bahnbrecher der blinden Gassen“ wird. Es wäre schade, denn das Motorboot mit dem Namen HÄSÄ, das wir in Savonranta gemietet haben, mit seiner Länge von 8,5 m und mit seiner Ausstattung, erlaubt eine bequeme und sichere Fahrt.
Nach dem Mittagessen wurde der Wasserhorizont enger, die mit dem Gletscher geschliffenen Felsenufer wurden ein bisschen höher und … die Schwimmer vor uns begannen sich bewegen wie im starken Strom. Plötzlich verliert das Schiff Geschwindigkeit … ja, wir fahren aufwärts. Nach kurzer Weile ist es mir klar: ein weiteres Seesystem ist ein paar Meter höher und wird mit diesem kurzen Fluss, der auf der Landkarte nicht ausgezeichnet ist, entwässert. Wenn sich auf der rechten Seite die Einfahrt in den Kanal mit der Schleuse öffnet, sehen wir noch einige hundert Meter lange steinige Stromschnellen, zu deren Überwindung die Schleuse dient.
Der Kanal Pilppa ist nicht lang. Er schneidet mit seiner Länge von 300 m nur das Genick zwischen den Seen durch. Die Betätigung der Selbstbedienungsschleuse ist uns fast sofort klar – wir haben halt Erfahrungen aus Frankreich. Ein paar Meter vor der Schleuse befindet sich ein für die Landung geeigneter Hafendamm, auf dem sich ein Ständer mit einer hängenden Schnur befindet. Es reicht nur zu ziehen und zu warten, bis der Automat alles andere besorgt – den Wasserpegel in der Schleuse, die Toröffnung sowie alle anderen Handlungen wie z. B. die Drehung der niedrigen Brücke über der Schleuse. Nach der Ausfahrt aus dem Kanal führt unsere Fahrt auf dem ruhigen Wasserspiegel zick zack unter den weiteren grünen Inseln. An diesem Tag abends erwarten uns auf unserer Fahrt noch drei weitere „bunte“ Kanäle, darunter auch ein vierstufiges Schleusentreppenhaus und dann nur noch die Übernachtung im Hafen in der Stadt Heinävesi. Dort besichtigen wir noch am Abend den orthodoxen Kloster Valamo mit der Klosterkirche im neubyzantinischen Stil.

Kanäle der ersten Generation

Um den Kanal Saimaa nutzen zu können, begann man mit der intensiven Erweiterung des Systems der Wasserwege im ganzen anschließenden Seegebiet. Während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden kurze Kanäle mit den Schleusen gebaut, die die Seesysteme verbanden und die den Schiffen ermöglichten, in die Städte Joensu, Nurmes, Varkaus, Kuopio, Iisalmi und in viele andere einzufahren.
Diese Wasserwerke – die Schleusen der ersten Generation – hatten Einheitsmaßen: sie waren 31 m lang, 7 breit und 1,8 m tief. Nach dem Höhenunterschied, den man überwinden musste, hatten sie entweder eine Stufe – z. B. Taivallahden kanava – oder sogar bis vier Stufen – Varistaipalen kanava. Später verloren einige von diesen Kanälen ihre „Industriebedeutung“. Sie wurden aber nicht umgebaut und deshalb erfüllen sie die gegenwärtigen Parameter nicht mehr. Trotzdem sind sie im perfekten Zustand und werden für die Erholungsfahrten genutzt. Und das ist auch die Ursache dafür, warum sie so attraktiv und romantisch sind. Davon zeugt auch der Sommerbetrieb von Ausflugsdämpfern und von zahlreichen Schiffen und Motorbooten. Sie stellen für die hiesigen „Urlauber“ oftmals die einzige Möglichkeit dar, auf dem Wasserwege ihre Blockhütten und Bungalows mit ihren unabdingbaren Saunas, die sich auf den Ufern auch der kleinsten und am meisten verlassenen Insel erstrecken, zu erreichen.

 

Auf der Hauptstrecke (Eintragung im Schifftagebuch)

Am nächsten Tag kommen wir nach einer dreistündigen Fahrt auf die Hauptwasserstrecke, die die zwei wichtigsten Häfen in diesem Seegebiet – Koupio und Lappeenranta – verbindet und kehren langsam in unser „Heimathafen“ zurück. Davon, dass diese Strecke sehr oft genutzt wird, zeugen auch zahlreiche Bugsierboote, die vor sich gewöhnlich zwei Frachtbooten mit Holz für das hiesige Papierwerg schieben.
Hier fahren wir zum ersten Mal in eine modernisierte Schleuse ein, die eine interessante Torkonstruktion hat und die sich mit einer ungewöhnlichen Art und Weise der Durchfahrt mit dem Schiff auszeichnet. Die gleiche Konstruktion haben auch alle weiteren neuen Schleusen und alle sind wegen ihrer so atypischen Tätigkeit für uns interessant.
Unter einer solchen Schleuse – Konnus kanava – verbringen wir die Nacht. Im unteren Vorhafen der ursprünglichen alten Schleusen gibt es einen schön geschützten Hafendamm. Es erinnert an ein kleines Kanalmuseum hier gar nicht: beim Wasserwegumbau verfuhren die Baumeister so, dass sie den ursprünglichen Kanal mit der Schleuse ließen und einige zehn Meter nebenan einen neuen und größeren Kanal bauten, sodass es heute möglich ist, hier die ganze Entwicklung der Schleuse während der drei Generationen zu beobachten.

Finnische Deichschleusen ein bisschen anders

In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, im Anschluss an die Inbetriebnahme des großen Saimaa Kanals, verlief die Modernisierung aller Deichschleusen auf den Hauptwasserwegen nicht nur im Gebiet von See Saimaa, sondern auch auf dem Wasserwege aus Lahti über Jyväskylä bis nach Pielavesi. Die Deichschleusen unterscheiden sich von den klassischen Schleusen auf den anderen europäischen Wasserwegen nicht durch ihre Abmessungen, sondern durch Torkonstruktion und Füllungsart.
Die Abmessungen der Schleusen sind durchschnittlich 150 m lang, 13,2 m breit und 4,8 m tief. Die Hubhöhe beträgt meistens 1 – 2 m, manchmal 5 m. Das zweiflügelige Schleusentor ist so konstruiert, dass es mit dem hydrostatischen Wasserdruck nicht belastet wird und dass es sich öffnet, auch wenn der Wasserpegel unterschiedlich ist – jeder Torflügel besteht aus einem ausgesteiften Stahlbogensegment, das so verkrümmt ist, damit der Wasserdruck auf alle Bogenteile gleich ist und damit das Segment mit der Hydraulik frei betätigt werden kann. Dieses System ermöglicht die Füllung und die Entleerung der Schleuse, indem sich das Schleusentor allmählich schließt und öffnet. Der Schleusenwärter bedient das Schleusentor so gut, dass man beobachten kann, wie ein Schiff, das von oben kommt, in das offene Tor einfährt und die Schleuse durch dieses Tor gleichzeitig auch mit Wasser eingefüllt wird. Ehe das Schiff durch die Schleuse ununterbrochen geschleust wird, öffnet sich das untere Tor und das Schiff fährt mit dem Wasserstrom hinaus.
Dieses Prinzip wurde vor allem zum Schleusen von Baumbündeln entwickelt. Wenn das Schleusentor geschickt bedient wird, entsteht ein Strom, mit dem die Baumbündel durch die Schleuse gebracht werden. Von der Flößerei aber noch später.

 

Wetter, Navigation und heiße Sauna (Eintragung im Schifftagebuch)

Das Wetter heute früh verspricht nichts Gutes. Es fällt dichter Regen und der Seitenwind erhebt auf den Seen bis ein halbes Meter hohe Wellen. Immer stärkerer Regen, Wind und verminderte Sicht komplizieren die Navigation. Wenn die Fahrt über eine größere Wasserfläche führt, haben wir Mühe die vielen dunkeln Inseln zu unterscheiden und die richtige Richtung und den Weg zu finden. Obwohl die Markierung auf der Wasserstrecke gut ist und die Schiffslandkarte ausgezeichnet ist, wird die Fahrt an unser GPS wesentlich leichter. Lida, die sich von der Funktion des Schiffsmädchens auf die Navigatorin umschulen musste, ist davon nicht begeistert. Jetzt muss sie ständig von der Landkarte die Koordinaten der Folgepunkte ablesen und diese in GPS eintragen.
Wir fahren die Hauptwasserstrecke weiter. Gegen Mittag fahren wir an Varkaus vorbei, an der Stadt mit einem großen Hafen, die als Zentrum der Papierindustrie berühmt ist. Die Fahrt führt an einer getrennten riesengroßen Wasserfläche vorbei, auf der viele Baumstämme schwimmen, die auf ihre Umwandlung in weltberühmte Papierprodukte warten.
Als Landepunkt für unserer letzte Übernachtung auf unserer Fahrt bestimmen wir die Insel Linnansaari, einen Bestandteil der gleichnamigen Inselnaturschutzgebietes, in dem wir den nächsten Halbtag mit dem „Wandern nach dem Festland“ verbringen möchten. Die Insel begrüßt uns mit einem schönen Hafen in einer stillen Bucht, mit einer Lagerstätte auf dem Ufer, wo nur einige Kanufahrer ihr Lager haben und mit einer bisher kalten Sauna mit guten Holzvorräten. Bevor Lida das Abendbrot zubereitet, heize ich die Sauna auf die betreffende Temperatur an …. Was kann man sich nach einer langen Fahrt beim kühlen Wetter mehr wünschen?

Flößerei, die zur Vollkommenheit geführt ist

Die Finnen nutzten die Flößerei zur vollständigen und leistungsfähigen Holzbeförderung. Davon konnten wir uns auf den Kanälen des Seesystems, das mit dem Fluss Kymi entwässert wird, überzeugen. Aus zusammengebundenen Baumstämmen mit dem Volumen von etwa 20 m3 wird ein Floß gebaut, das bis zu 500 m lang und bis zu 50 m breit ist. Das Floss wird dann bugsiert und bewegt sich wirklich ehrwürdig auf dem Wasser. Die Geschwindigkeit ist nicht so wichtig, aber diese Beförderungsart ist außerordentlich effizient. Es ist interessant zu beobachten, wie das Floß zusammengebunden wird: die bereits zusammengebundenen und gleich langen Stämme werden aus den Lastkraftwagen aufs Wasser entladen. Hier werden sie von einem „neuartigen Flößer“ mit einem speziellen Boot bis auf den Ort im Strom verschoben und mit einem Schnellspanner befestigt. Alles geschieht blitzschnell und effizient.
Auch die Bauten längs des Wasserweges sind dieser Beförderungsart angepasst. Als ein typisches Beispiel dafür dient zum Beispiel die Schleuse Kalkkinen, die 500 m lang, 20 m breit ist und die ein Ausnahmebau dieser Art ist. Das Schleusenkammertor öffnet sich und schließt sich ohne Rücksicht auf den Wasserpegel und schafft somit ausreichenden Strom zum bequemen Schleusen von Floßteilen.

 

Der Schluss unserer Reise könnte wieder ein Teil unserer Eintragung ins Schifftagebuch sein. Diesmal fahren wir aber auf keinem kleinen Motorboot, sondern auf einem 200 m langen Trajekt der Gesellschaft Superfast Ferries, auf dem wir nach 20 Tagen Finnland verlassen – als ob wir die Fahrt und die Wasserwege nicht satt hätten.

 

October 2004

Charter: www.saimaansolmu.fi